Dies sind die geheimen Worte, die der lebendige Jesus sagte; Didymos Judas Thomas hat sie aufgeschrieben.

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Als ich vor mehreren Jahren das Thomasevangelium für mich persönlich entdeckte, war das wie eine neue Welt für mich. Sicher, ich hatte schon von so genannten apokryphen Evangelien gehört, aber bis dahin noch keines zu Gesicht bekommen.

Ich bin damals im Internet fündig geworden und habe mir den Text 1 ausgedruckt und durch studiert. Von den Nag Hammadi Texten  1 hatte ich gehört, aber dass man die ganze Bibliothek auf deutsch im Internet lesen konnte, fand ich toll.

Und bereits der Prolog „Dies sind die geheimen Worte, die der lebendige Jesus sagte; Didymos Judas Thomas hat sie aufgeschrieben.“ fesselte meine Aufmerksamkeit.

Geheime Worte? Was für geheime Worte? Welche geheime Botschaft?

lebendige Jesus? Der jetzt Lebende?

Zwilling Judas Zwilling? Der Didymos führte mich auf eine weitere Suche, denn das erinnterte mich stark an Johannes, genauer gesagt, das Johannesevangelium und dort an die Stelle vom ungläubigen Thomas.

Nun war klar, dass Didymos (griechisch) und Thomas (aramäisch) übersetzt „Zwilling“ heißt, aber wie kam da Judas ins Spiel? Eine alte syrische Tradition kennt ihn als den Zwillingsbruder Jesu.

Und ein Zwilling sieht aus wie der andere!

Damit bekam die Stelle im Johannesevangelium 20,24-29 eine eigene Bedeutung. Unmittelbar davor liest man den ersten und zweiten Erscheinungsbericht des Auferstandenen vor Maria Magdalena und den Jüngern. Eigentlich wären das der Zeugen genug.

Aber dann die Feststellung: „Thomas, genannt Didymus (Zwilling), einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam.“ Wie wenn der Autor/Bearbeiter des Johannesevangeliums noch einen Zusatz unterbringen müsste. Und dabei zeichnet er ein klares Bild: Jesus steht Thomas gegenüber und spricht mit ihm und alle versammelten Jünger sehen zu – sprich: können das bezeugen. Da war nicht einer, der aussah wie Jesus bzw. Thomas – nein, beide waren da!

Der Abschnitt liest sich wie die Antwort auf den Einwand, nicht Jesus sondern sein Zwilling Thomas sei den Jüngern erschienen. Der Einschub erschien mir wie eine Replik auf den Prolog des Thomasevangeliums. Hier die Feststellung: da ist der Zwillingsbruder Jesu. Dort: die Antwort: die Anwesenheit Beider – nach Kreuzigung und Auferstehung Jesu – wird von den Jüngern bezeugt.  

Nur, wenn das eine Antwort war, müsste das Thomasevangelium oder dessen Prolog älter sein als das Johannesevangelium oder dieser Abschnitt (20,24-29). Die ersten Datierungszahlen, deren ich mich erinnerte, waren Johannesevangelium um 90-100 n. Chr. bzw. Thomasevangelium nach 200 n. Chr. Wenn die obige Annahme zutrifft, wäre das Thomasevangelium bzw. Teile wesentlich näher an Jesu Lebzeit heranzurücken.

Was bedeutet das für die Authentizität der im Thomasevangelium überlieferten Jesusworte?

Fragen über Fragen. Spannende Fragen.

Vielleicht wird dadurch die Faszination klar, die für mich von Thomas und Johannes und ihren Schriften ausgeht.

Einen guten Freund habe ich mit meiner Faszination am Thomas-evangelium wohl auch infiziert. Das Zitat fand Eingang in einen seiner Filme: Der Sinn II.

* * *

Aber war ich der einzige, der die Johannesstelle so deutete?

Ich wälzte viele Johanneskommentare, aber diese – meine – Interprätation fand ich nirgendwo wieder.

Bis ich  Bultmanns Johanneskommentar2 in die Hände bekam. In der Fußnote 1 auf S.538 stand: „…R. Eisler (ΙΗΣ. ΒΑΣ. II 418ff) gewinnt [Anm.: aus dem aramäischen Wort für Zwilling te’oma] (תאומא ,ܬܐܘܡܐ)  = δίδυμος  die Hypothese, die Geschichte richte sich gegen den gegnerischen Einwand, daß die Jünger nicht den auferstandenen Jesus, sondern seinen ihm zum Verwechseln ähnlichen Zwillingsbruder gesehen haben. Deshalb müsse Jesus auch diesem erscheinen.“

* * *

Ein weiteres Mosaiksteinchen im Datierungskrimi hat Klaus Berger mit seinem „Im Anfang war Johannes“<a href=“http://<a name=”fn1”>3 beigetragen, der das Johannesevangelium zwischen 67 und 70 n. Chr. datiert [ibidem, S.94]. 


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2) Bultmann, Rudolf, „Kirchengeschichtlicher Kommentar über das Neue Testament, Das Evangelium des Johannes“, 101941, 161959, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen

3) Berger, Klaus,“Im Anfang war Johannes“,1997, Quell Verlag, Stuttgart

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